Arbeiterhäuser Thywissen (Postelinge Hüser)

Geschichte

Seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war die Aachener Unternehmerfamilie Thywissen auch in Neuss aktiv. Heinrich und später auch Sohn Caspar gründeten Ölmühlen. Die Ölmühle Thywissen am Obertor galt als besonders innovativ und erfolgreich. Die Thywissens engagierten sich auch in der Stadtpolitik.

Als um 1890 die Gründung eines Bauvereins zur Behebung der Wohnungsnot unter Arbeitern und der Entlastung der überalterten und überbevölkerten Altstadt diskutiert wurde, ließ der Bauverein verschiedenen Haustypen am Berghäuschensweg unweit der Kölner Straße errichten.

Die dort entstandenen Doppelhäuser mit gemeinsamem, mittig geteilten Giebel fanden jedoch nicht die Zustimmung der Verantwortlichen des Bauvereins, so dass in den nächsten Jahren neben Mehrfamilienhäusern für kaufinteressierte Familien schmale, nur zwei Fensterachsen breite Reihenhäuser mit geringerem Platzbedarf und weniger Baukosten errichtet wurden.

1901 nahm Wilhelm Thywissen die Giebelteilung wieder auf und ließ auf seinem Grundstück an der Bergheimer Straße (damals Bergheimerweg), südlich der Innenstadt im heutigen Stadtbezirk Pomona, sechs Häuser mit insgesamt 24 Wohnungen bauen. In einer 1902 erschienenen Publikation der Stadt Neuss über die „Wohlfahrtsbauten“ werden die Thywissen’schen Häuser zwar erwähnt, aber es wird auch deutlich, dass der Neusser Gemeinnützige Bauverein und die inzwischen gegründeten Genossenschaften von der Stadt als bessere Alternative zum privaten Arbeiterwohnungsbau gesehen wurden.

Die Firma C. Thywissen errichtete auch weiter Werks- und Arbeiterwohnungen, jedoch nicht mehr nach dem Vorbild der Giebel-Doppelhäuser und vermutlich auch näher an den Arbeitsstätten. In der 1939 erschienenen Festschrift zum hundertjährigen Werksjubiläum wird jedoch noch immer an die Häuser an der Bergheimer Straße erinnert und stolz berichtet, dass die Hälfte der allerdings nicht sehr zahlreichen „Gefolgschaft“ über eine werkseigene Wohnung verfüge.

Die Häuser kamen später in Privatbesitz und unterlagen der Veränderung. In der Regel wurden Erd- und Obergeschoss zu einer Wohneinheit zusammengefasst, ein Badezimmer und WC ergänzt. Türen und Fenster wurden ausgetauscht und teilweise in der Form verändert, oder gar die ganzen Fassaden verklinkert. Deshalb stehen die Häuser nicht unter Denkmalschutz. Ihren ortsüblichen Namen „Postelinge Hüser“, dialektal für „Porzellanhäuser“, sind auf den wohl von Anfang an vorhandenen weißen Anstrich zurückzuführen.

Beschreibung
Die Häuser liegen auf schmalen, etwa 45 Grab aus der Straßenflucht gedrehten Parzellen. Der Grund für die Drehung ist unklar, sie könnte aber eine bessere Belichtung beabsichtigen. Die Häuser liegen auf diese Weise jeweils mit der Rückwand vor der Vorderflucht des nächsten Hauses.
Jedes der eineinhalbgeschossigen Doppelhäuser verfügt über einen etwa quadratischen Grundriss, der in Firstlinie mittig symmetrisch geteilt ist, und über zwei Wohnungen, je eine pro Etage. Die Haustür in der Mitte der Seitenwand führt in einen Längsflur, in dessen hinterem Teil die Treppe nach oben führt.

Nach hinten ist eine geräumige Wohnküche angeschlossen, von der eine kleinere Spülküche nach hinten abgeht. Nach vorn und nur über den gemeinsamen Hausflur erreichbar sind zwei Schlafkammern mit je einem Fenster an der Giebelseite untergebracht. Im Obergeschoss ist die Aufteilung gleich; die beiden Fenster an der Giebelseite sind jedoch kleiner und zur Mitte hin verschoben. Eine Gaube über dem Eingang belichtet den Flur. An die Wohnküche mit Spülküche schließen sich beiderseits der Mittelwand zwei Ställe, sowie zwei Toiletten an, jeweils für jede Wohnung einzeln. Vor jeder Eingangstür befindet sich eine Brunnenpumpe, etwas abgesetzt von den Toiletten je Haushälfte eine Abortgrube.

Die Fassaden der ganz in Backstein gebauten Häuser sind an Traufe und Giebel mit Fries und Gesims versehen: die Dachneigung beträgt nur etwa 45 Grab, dadurch wirken die Giebel ungewöhnlich breit gelagert. Die Fenster sind relativ klein, aber mit einem Stichbogen überwölbt. In der Giebelspitze belüften nochmals zwei Fensterschlitze den Speicherraum; ein Auszug mit Spitze bekrönt jeden Giebel.

Internet

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Thywissen

Literatur und Quellen

  • Stadt Neuss (Hg.): Die Wohlfahrtseinrichtungen der Stadt Neuss, 1902
  • Wilden, Josef: C. Thywissen GmbH, Düsseldorf 1939
  • Neusser Gemeinnütziger Bauverein (Hg.): 75 Jahre Neusser Gemeinnütziger Bauverein AG, Neuss 1966.
  • Pufke, Andrea (Hg.): Siedlungen in NRW. Rheinschiene, Bd. 2, Fulda 2021, S. 1077/1078
  • 100 Jahre Postelinge Hüser, in: Neuss: Stadtteile: Pomona (Broschüre, o.J.)
  • Metzdorf, Jörg (Hg.) Die Straßen von Neuss, Neuss 2019, S. 277, 281
  • Stadt Neuss, Hausakten, Bergheimer Straße 235-245, 238-248

Karte

Bergheimer Straße 235-245, 238-248
41464 Neuss