Geschichte
Der 25. Januar 1985 war ein denkwürdiger Tag im Geschichtsbuch der kleinen, damals seit gerade mal zehn Jahren zu Neuss gehörenden Gemeinde Norf. Ein Bagger war vor ihrem Bahnhofsgebäude aufgefahren – er hatte die Toilette schon abgerissen – als eine Abordnung der Stadt Neuss das Schlimmste verhinderte. Der Regierungspräsident hatte einen vorläufigen Abriss-Stopp verfügt. Der Grund: Die Prüfung der Denkmalschutzwürdigkeit war nicht abgeschlossen!
Ein gutes Jahr später war sie amtlich. Am 16. Juli 1986 wurde die dreiteilige Gebäudegruppe aus gelbem Backstein an der Bahnstraße 33 in Norf in die Denkmalliste eingetragen. Die Begründung lautet kurz und knapp: „Wichtiges Zeugnis der Eisenbahnbaugeschichte, erhaltenswert insbesondere aus verkehrswissenschaftlichen und städtebaulichen Gründen.“
Die Deutsche Bahn selber hat ihr Interesse an der Vergangenheit der historischen Station verloren, Akten darüber hat sie nicht mehr. Der Norfer Heimatverein aber ehrt das Andenken des für die Bahnhöfe der Gründerzeit so typischen Baus.
So verweist man im lokalen Stadtarchiv nicht ohne Stolz auf eine Anzeige im Neusser „Kreis-, Handels- und Intelligenzblatt“ vom 27. Mai 1856. Es heißt da: „Auf der Cöln-Crefelder Eisenbahn werden mit dem 1. Juni dieses Jahres zwei neue Haltestellen: Longerich (zwischen Köln und Worringen) und Norf (zwischen Horrem und Neuß) eröffnet, an denselben mit allen Zügen angehalten und Personen sammt Gepäck, sowie Güter und Vieh aufgenommen respektive abgesetzt werden. Aachen, den 25. Mai 1856. Königliche Direktion der Aachen-Düsseldorf-Ruhrorter Eisenbahn.“
Mit diesem Datum hatte die kleine Landgemeinde Anschluss an das rheinische und deutsche Eisenbahnetz erhalten – ein nicht nur von den Norfern begehrtes Ziel. Schließlich verband die „Cöln-Crefelder“, kurz CCE, auf ihren 56 Streckenkilometern die Städte Köln mit Neuss und Krefeld, dem damaligen Zentrum der Samt- und Seidenindustrie, auf deren Betreiben die Eisenbahngesellschaft 1853 in Köln gegründet worden war.
Von Anfang an hatte der preußische Staat Bahnbau und Verwaltung der „Cöln-Crefelder“ übernommen und sie der 1850 gegründeten Aachen-Düsseldorf-Ruhrorter Eisenbahngesellschaft unterstellt. Am 15. November 1855 konnte die erste Teilstrecke von Köln nach Neuss eröffnet werden, die nach Krefeld folgte Anfang 1856. Da die CCE in Ihren Ergebnissen jedoch nicht wie erwartet florierte, ging sie im Jahr 1860 in den Besitz der äußerst erfolgreichen Rheinischen Eisenbahngesellschaft über, die mit ihrer Stammstrecke Köln-Aachen und deren Fortsetzung nach Brüssel und Antwerpen die erste internationale Verbindung Deutschlands war.
Wie aber war es den Norfern gelungen, diesen, auch von mancher Nachbargemeinde begehrten Haltepunkt zu erlangen? Vorausschauende Verkehrspolitik und eine Bürgerschaft, die bereit war, das Zukunftsprojekt auch finanziell zu fördern, leisteten Überzeugungsarbeit.
So hatten die Norfer auf gute Straßen aus dem Jülicher Land, von Grevenbroich über Wevelinghoven und Norf bis zur Schiffahrtstation Grimlinghausen verwiesen. Große Mengen „schwarzen Brandes“ (Steinkohle) wurden auf diesem Wege ins Hinterland geschafft. Über die Schiene jedoch mit einem Anschluss in Norf, so warben sie, könnte der begehrte Brennstoff viel bequemer und direkter dorthin gelangen. Zudem sei selbst bei hohem Wasserstand an keinem anderen Ort zwischen Holland und Köln, außer am nahe gelegenen Grimlinghausen, eine Rheinüberfahrt möglich. Das hatten die Konkurrenten nicht zu bieten.
Da auch die Finanzierung des Anschlusses durch die Gemeindemitglieder von Anfang an gesichert war, zwei wohlhabende Bürger hatten mit großzügigen Beträgen die Spendenfreudigkeit angestoßen, blieb der Erfolg nicht aus. Die Haltestelle Norf fand ihren Platz im Fahrplan der Cöln-Crefelder Eisenbahn.
Den Rheingemeinden, so kann man heute im Archiv erfahren, fügte die neue Eisenbahnlinie in der ersten Zeit allerdings schweren Schaden zu und trieb den Schiffsgüterverkehr in die roten Zahlen. Für die Norfer dagegen war sie ein Signal in die Zukunft.
Bis zirka 1970, so ist zu lesen, wurden hier täglich zwei Güterwagenladungen umgeschlagen, separate Gleisanschlüsse für umliegende Unternehmen verlegt. Flüsigteer wurde angeliefert, Zuckerrüben verladen, während des 2. Weltkrieges rollten Militärfahrzeuge von den Waggons. In friedlicheren Zeiten nach dem Kriegsende kamen in Norf auch die Messwein-Sendungen für Pastor Hilleke aus Rosellen an. Und die „Klütten-Züge“ animierten zum „Fringsen“.
Der Anschluss an die Bahn tat dem Ort wirtschaftlich gut, schaffte Arbeitsplätze und Einnahmen fürs lokale Budget und trug, davon ist man im Stadtarchiv überzeugt, seinen Anteil dazu bei, dass Norf die einzige Gemeinde war, die bei der Eingemeindung nach Neuss nicht in den roten Zahlen steckte. Eine erfreuliche Mitgift.
Auf einen repräsentativen Personenbahnhof mussten die Norfer in den ersten Jahren aber noch warten. Der jetzige, für eine kleine Gemeinde wie Norf mächtige Bahnhofsbau entstand erst in den 1880er Jahren. Wie aus der Zeit gefallen steht er heute da, der zweigeschossige Bau mit seinen sechs Achsen und den symmetrisch angeordneten Segmentbogenfenstern. Hinter der zweiflügeligen Eingangstür lagen Schalterhalle und Wartesaal. Für den Bahnhofsvorsteher gab es eine Wohnung im Obergeschoss mit vorgelagerter Treppe zum eigenem Eingang und einer schützenden Überdachung aus Holz. Auf der risalitartig vorgezogenen Mittelachse thront ein schlanker Giebel, kreuzförmig angeordnete Satteldächer beleben die Dachlandschaft. Zweck und Schmuck in schöner Allianz.
Was den den Bahnhofs typisch für die Gründerzeit macht, sind die horizontal angeordneten Rotsandsteingesimse und rhythmisierende Zierbänder aus rotem Backstein. Die kleinen, noch vorhandenen Rotsandsteinkonsolen an den vier Giebelseiten trugen ursprünglich vorgeblendete hölzerne Ziergiebel.
Um das Jahr 1910 herum wurde der Bahnhof ergänzt um zwei eingeschossige Anbauten an seinen beiden Seiten. Zunächst wurde ein Güterschuppen mit Satteldach angebaut, ursprünglich erschlossen durch breite Holztore in der Trauf- und Giebelseite. 1910 kam nördlich eine Gaststätte dazu mit einer darüber liegenden Pächterwohnung. Das ausgebaute Mansarddach trägt drei Gauben. Ansonsten setzen die Zierbänder und Maueröffnungen die schmückenden Elemente des Hauptgebäudes fort.
Geht man heute durch die breite Eingangstür in das Bahnhofsgebäude hinein, so ist die ursprüngliche Nutzung nicht mehr zu erkennen. Der Zugang zu den Gleisen auf der Bahnsteigseite ist seit Anfang der 80er Jahre zugemauert. Zwei hohe Fenster in der Wand geben den Blick auf die Bahngleise frei. Auch der alte, zum Teil überdachte Bahnsteig Richtung Köln, fiel mit dem Umbau der Station Norf in einen S-Bahn-Halt weg. Das ehemals hölzerne Vordach hatte seine guten Dienste getan. Für die Wartehalle mit dem Fahrkartenschalter und die angrenzenden Lagerräume stehen die Signale seitdem ebenfalls auf Rot.
Damals wurde der „Kultur-Bahnhof“ Norf auf die Schiene gesetzt. Im deutlich erweiterten Gaststättenbereich war jetzt Platz für Dichterlesungen, Ausstellungen, Musik-Workshops. Auch als das Objekt Bahnhof Norf Ende der 1980er in Privatbesitz überging, dauerte das Kulturprogramm zunächst an.
Seit neun Jahren wird im Erdgeschoss ausschließlich gekocht. Und während drinnen getafelt wird, zischen draußen die Schnellzüge vorbei. An das leise Beben, wenn sie vorbeirauschen, haben sich Gastronom und Gäste sicher längst gewöhnt.
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Bahnstraße 33
41469 Neuss