Kraftfutterwerk der AGRAVIS / ehem. C. B. Michael

Geschichte

Bis heute ist Neuss mit drei bedeutenden Unternehmen florierender Standort der Ölsaatenverarbeitung und Speiseölherstellung in Ölmühlen bzw. -pressen. Daran knüpften weitere Branchen an, wie etwa die Kerzenfabrikation (Stearin), die Fußbodenbelagsherstellung (Balaton-Linoleum), die Seifenproduktion und natürlich die Margarine- und Mayonnaiseherstellung (Thomy). Als Rest- bzw. Nebenprodukt der Ölherstellung entstanden die Ölkuchen, die als Grundlage für Tier- bzw. Kraftfutter dienten. Im Neusser Industriehafen siedelten sich deshalb schon zur Gründungszeit mehrere Futtermittelproduzenten an. Auch das 1885 in Hamburg gegründete Familienunternehmen C.B. (Carl Bernhard) Michael richtete hier eine Filiale ein, deren Aufgabe in der Weiterverarbeitung der hier übernommenen Ölkuchen für den Export wie der Versorgung der niederrheinischen Landwirtschaft bestand.

In den Jahren 1968-1970 ließ die Firma eine neue Speicher- und Verarbeitungsanlage an dem damals neu erschlossenen Hafenbecken IV errichten. Da die Stadt Neuss mit dem ursprünglichen Entwurf der Silo- und Werksanlage der Hamburger Firma SiloConsult und des Bremer Ingenieurs Heinz Jagau aus ästhetischen Gründen nicht zufrieden war, zog man den vor allem im modernen Kirchenbau tätigen Hamburger Architekten Friedhelm Grundmann (1925-2015) zur Gestaltung heran. Dieser entwarf einen Sichtbetonbau mit zwei in der Höhe gestaffelten, rechteckigen Siloblöcken, deren Satteldächer nach innen geneigt sind („Schmetterlingsform“). Halbkreisförmige Fenster, angeregt durch Bauten von Hans Poelzig (Werdermühle, Breslau, 1906; Chemische Fabrik Luban, 1911), gliedern die Außenflächen. Der in Breslau als Sohn des Denkmalpflegers Günther Grundmann aufgewachsene Architekt war mit diesen Bauten nach eigener Aussage vertraut. Die besondere Dachform der Silobauten habe sich durch den Schleifprozess für das Balsaholz-Präsentationsmodell ergeben.

Der Turmbau wird begleitet von flachen Fabrikations- und Lagertrakten und einem Büro- und Sozialgebäude, die als Stahlbeton-Skelett- bzw. Stahlskelettbauten ausgeführt sind. An der Landseite wurden später einige Anbauten (Treppenhaus, Überdachung Verladung) vorgenommen. 

Der auffällige Industriebau wurde schon 1976 in der ersten, im LVR-Amt für Denkmalpflege erarbeiteten Publikation zu den Industriedenkmalen im Rheinland als Beispiel eines qualitätvollen modernen Industriebauwerks aufgeführt. In der Dokumentation denkmalwerter Hafenbauten von Flach / Höhmann wird die Anlage ebenfalls dargestellt (s. Literatur). Da das inzwischen an die Firma Agravis (ehem. RWZ/Raiffeisen-Warenzentrale) übergegangene Werk noch in Betrieb ist, erfolgte bisher keine Eintragung in die Denkmalliste.

Nachdem im Industriebau lange das Primat des Funktionalismus im Sinne der Internationalen Moderne vorgeherrscht hatte, öffnete man sich in den 1960er Jahren wieder stärker einer bewussten Gestaltung auch mit modernen Baumaterialien. Die skulpturalen Formexperimente eines Gottfried Böhm im Kirchenbau, aber auch die oft provozierenden und übertreibenden Sichtbetonkonstruktionen sogenannter „brutalistischer“ Baukunst regten zu einem freieren Umgang auch mit Zweckbauten an. Gerade die auch im Neusser Hafen vertretene Baustoffindustrie, etwa Dyckerhoff & Widmann, ließen ihre Werksbauten von führenden Architekten wie Ernst Neufert gestalten und nahmen so Einfluss auf die Entwicklung im Industriebau. Dies mag die Neusser Bauverwaltung bewogen haben, auch im Falle der Firma C.B.Michael auf eine bewusste Gestaltung der Bauten hinzuwirken und damit das vermeintlich kulturferne Hafengebiet optisch und gestalterisch aufzuwerten. Angesichts der folgenden, wenig angepassten Ergänzungen stellt sich jedoch die Frage, ob dies gelungen ist.             

Internet

de.wikipedia.org: Stichwort Agravis

Literatur und Quellen

Karte

Duisburger Straße 16 / Hafenbecken IV
41460 Neus