Nordkanal – Gesamtanlage und Bauten in Neuss

Geschichte

Die französischen Revolutionstruppen besetzten bis 1794 die linksrheinischen Gebiete zwischen Rhein und Maas sowie das Gebiet des heutigen Belgiens. Die Annexion dieser Bereiche und die Einbeziehung in das französische Staatsgebiet wurden sowohl von Preußen (1795) als auch von Österreich (1797) anerkannt, sodass der Rhein und sein südlicher Mündungsarm fortan die Grenze der Republik Frankreich bildeten. 

Mit Antwerpen hatte Frankreich nun einen direkten Zugang zur Nordsee, der aber nur auf dem Landweg zur erreichen war. Um den Handel und die Verbindung mit der alten Hafenstadt auch auf dem damals sehr viel komfortablen Wasserweg herzustellen, wurde von Napoleon 1804 das Projekt des „Grand Canal du Nord“ aus der Taufe gehoben. Mit der Planung wurde Aimable Hageau (1756-1836) beauftragt, der 1805 zum Chefingenieur der Behörde für Brücken- und Straßenbau befördert worden war. Hageau war u.a. auch für die Planung und den Bau des Rhein-Rhone-Kanals, mit 237 km Länge, das größte Kanalprojekt Napoleons verantwortlich.

Die Planung ging von der Prämisse aus, dass möglichst wenige Kunstbauwerke errichtet werden sollten und eine ausreichende Zufuhr von Wasser aus umgebenden Flüssen möglich war. Zudem sollte der Kanal im Falle eines Falles in eine Verteidigungslinie nach Nordosten hin einbezogen werden können. Die Entscheidung über den endgültigen Streckenverlauf fiel in den Jahren 1806/07.

Der Kanal sollte in Grimlinghausen am Rhein beginnen, südlich an Neuss, Kaarst, Schiefbahn und Neersen vorbeiführen, in Venlo die Maas kreuzen und von dort über Weert nach Antwerpen führen.

Abschnitt aus Karte im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland
RW Karten / RW Karten, Nr. 276 Blatt 1
Verlauf des Kanal vom Rhein, Neuss, Foret de Büttgen

Die Planung sah vor, dass der neue Schifffahrtsweg eine Breite von 22 Meter und eine Tiefe von 2,40 Metern aufweisen sollte. Damit war der Kanal für ca. 35 m lange Schiffe mit einer Ladung von bis zu 400 Tonnen befahrbar. Insgesamt waren für den Streckenabschnitt zwischen Rhein und Maas bei Venlo neun Schleusen vorgesehen.

1807, Plan de l’ écluse de garde du Grand Canal du Nord, à son embouchure dans le Rhin avec une garre en amont pour remiser les bateaux et servir à faire chasse au besoin
Karte im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland RW Karten / RW Karten, Nr. 2226
Hafen und erste Kanal-Schleuse am Rhein

Über je eine Eingangs- oder Schutzschleuse sollte den Übergang von der Maas bzw. dem Rhein in den Kanal erfolgen und gleichzeitig der Kanal gegen Überschwemmung gesichert werden. Die übrigen Schleusen dienten zum Anheben oder Absenken der Schiffe auf der Strecke, wobei allein sechs Anlagen den Höhenunterschied zum Tal der Maas überbrückten sollten. Die flankierenden Dämme, auf denen die Treidelpfade verlaufen sollten, waren in einer Breite von 6 m und einer Höhe von 1,40 m über dem Wasserspiegel vorgesehen. 

Um einen gleichbleibenden Wasserstand in dem Kanal sicherzustellen, war ein ausgeklügeltes System an Zu- und Abläufen vorgesehen, die den Wasserverlust durch Verdunstung, Versickerung und insbesondere durch die Schleusen, die das Gefälle des Kanals von der Maas zum Rhein hin überbrücken sollten, notwendig. 

Die Bewässerung des Kanals sollte durch das Wasser der oberer Erft und der Niers geschehen, die den Lauf des Kanals bei Neuss bzw. bei Neersen querten. In den Kreuzungspunkten von Kanal und Flusslauf wurden die in Deutschland bis dahin noch unbekannten „Epanchoirs“ angelegt. Die Anlage in Neuss stellte sowohl den permanenten Zulauf in den Kanal aus der Erft als auch die Wasserversorgung der Mühlen im südlichen Stadtgebiet sicher. Über den letztgenannten, nördlichen Ablauf zu den Mühlen konnte aus dem Kanal bei zu hohem Wasserstand, etwa infolge von starken Regenfällen, zusätzlich Wasser abgelassen werden. Aufgrund dieser Möglichkeit erhielt das Bauwerk in Neuss die Bezeichnung „Entlastungsbauwerk“.

Mit dem Bau des Kanals wurde schließlich 1808 begonnen. Von der geplanten Trasse wurden etwa 30 km ausgebaut und verschiedene Brücken Kreuzungsbauwerke und Nebenanlagen errichtet.

1823: Karte [Nordkanal in der Stadt Neuss]. a) 1. Karte des Nordkanals von der Landstraße nach Köln bis zu jener nach Jülich. – Plan A. Aufgenommen und ausgefertigt im Mai 1823 durch den mit der Ausmessung der Domainen beauftragten Katastergeometer Jacob Schmitz. E XXIV Nr. 10 Quelle: Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland
RW Karten / RW Karten, Nr. 673 – a

Die Arbeiten wurden jedoch bereits drei Jahre später wieder eingestellt, da Mitte 1809 der Grund für den Bau des Kanals entfallen war. Die Republik Batavia, von 1806 bis 1810 Königreich Holland unter der Herrschaft von Louis Bonaparte, einem Bruder Napoleons, wurde sukzessive in das französische Staatsgebiet integriert, sodass der Zugang zur Nordsee über den Rhein wieder ohne Hindernisse und Zollzahlungen möglich war. Aus dem Sieg über Napoleon und der geopolitische Neuordnung nach 1815 ergab sich ebenfalls keine Notwendigkeit den Bau des Kanals wieder aufzunehmen. Die etwa 5 km lange Strecke vor Venlo gehörte jetzt zu den Niederlanden, der Rest zu Preußen. 

Karte zum Verlauf des Nordkanals im Bereich der Stadt Krefeld. Quelle: Aufnahme der rheinischen Gebiete durch französische Ingenieurgeographen unter Oberst Tranchot 1803-1813 und durch preußische Offiziere unter Generalmajor Freiherr von Müffling 1816-1820. Blatt 44 – Düsseldorf, Ausschnitt Neuss

Für den Weiterbau des Kanals auf preußischer Seite gab es verschiedene Vorschläge. Nach einem Konzept des Unternehmers Johann Wilhelm Thomas, der den Kanal bis zum Jahr 1846 gepachtet hatte, wurde auch zunächst nach 1820 mit der Vertiefung der Fahrrinne und der Erhöhung des Wasserstandes in den bereits fertiggestellten Bereichen des Kanals begonnen, um ihn für Schiffe mit einer größeren Tonnage befahrbar zu machen.  Die Rentabilität des Kanals für die Betreiber und die Nutzer konnte jedoch letztendlich nicht mit der Eisenbahn konkurrieren, die ab 1849 den Betrieb auf einer ähnlichen Strecke aufnahm. 

Die Kanaltrasse und die damit verbundenen Grundstücke und Gebäude wurden nach 1853 sukzessive verkauft, zugeschüttet oder überbaut, wie z.B. bei dem Teilstück zwischen Neusser Furth und Willicher Straße (L 390). Zwischen Mönchengladbach und Viersen sind jedoch noch größere Teilstücke erhalten. Im Bereich der Neusser Altstadt wurde die Trasse des Kanals in die um 1900 entstandenen Grünanlagen der Kaiser-Friedrich Straße und der Nordkanalallee integriert. Der Anfangspunkt des Kanals in Grimlinghausen markiert heute der ehemalige „Napoleonhafen“ aus der Bauzeit des Kanals, der heute noch als Sporthafen genutzt wird. Über die ursprüngliche Breit des Kanals und das „Epanchoir“ gibt ein Teilstück des Nordkanals Auskunft, das in den Jahren 2009-2012 im Kreuzungsbereich Nordkreuzallee/ Selikumer Straße wieder freigelegt und restauriert werden. 

Zur Europäischen Gartenausstellung 2002 wurde ein 100 km langer Radweg vom Grimlinghausen bis nach Niederweert in Hollandangelegt. Der Weg verläuft parallel zum noch erhaltenen Kanal oder auf der Kanaltrasse selbst. 4 m hohen Markierungsstangen, die in einem Abstand von 250 m den Weg begleiten, sollen an Vermesserstangen erinnern und das projekthafte des Kanals und seiner Umsetzung zu symbolisieren. 

Literatur:

  • Baum, Mirko: Grand Canal du Nord und Schwebefähre über die Niers bei Mönchengladbach, Mönchengladbach 2004
  • Bause, Volkher: Der Nordkanal. Geplante Verbindung vom Rhein zur Maas und Schelde, in: D’r Bott 1998, S. 266-277
  • Föhl, Walter: Der Rhein-Maas-Schelde-Kanal: eine geschichtliche Übersicht, in: Zeitschrift für Verkehrswissenschaft 27, 1956, S. 243-272
  • Gerlach, Gudrun: Der Nordkanal – ein 50km langes Bodendenkmal, in: Archäologie im Rheinland 1992, S. 157-159
  • Gruber, O.: Schiffahrts-Kanalbau-Ideen am Niederrhein im 19. Jahrhundert, Köln 1924
  • Hageau, A.: Description du Canal de jonction de la Meuse au Rhin, Paris 1819
  • Hölter, Christoph: Vom Nordkanal zur Fietsallee – Ein regionales Projekt zur Euroga 2002 Plus, in: Heimatbuch des Kreises Viersen 53, 2002, S. 291-297
  • Huck, Jürgen: Der Nordkanal. Ein technisches Denkmal der Zeit Napoleons, in: Rheinische Heimatpflege NF 19, 1982, S. 81-90
  • Lettow: Beschreibung der Niers- und Nordkanal-Niederung der Rheinprovinz, Düsseldorf 1863
  • Lotzmann, Karlheinz: Der napoleonische Nordkanal in Neuss, in: Licht und Schatten – die Franzosen in Neuss, 1794 bis 1814, Düsseldorf 1994
  • Neisser, Hans-Joachim: Napoleons verschlammter Schleichweg für Kähne: der alte Nordkanal kommt zu neuen Ehren, in: Das Tor 70, 2004, S. 10-11
  • Real, Johann: Der Nordkanal(Veröffentlichungen des Historischen Vereins für Geldern und Umgebung), Geldern 1906, 2. Auflage 1926 (reprint 1974)
  • Saarbourg, Otto: Das Neusser Kanal- und Brückenwärterhaus. Ein Denkmalensemble am napoleonischen Nordkanal in Neuss, in: Novaesium 2010. Neusser Jahrbuch für Kunst, Kultur und Geschichte 2010, Neuss 2010
  • Sauer, Sabine / Krull, Hans Peter: in: Archäologie im Rheinland, 2006/07, S. 206-08
  • Scheller, Hans: Der Nordkanal zwischen Neuss und Venlo (=Schriftenreihe des Stadtarchivs Neuss 7), Neuss 1980
  • Schröteler, Fr. J.: Der Nordkanal, in: Robend: Geschichte in Geschichten – Mönchengladbach 1996
  • Tamm, Horst(Hg.): Der Nordkanal im Raume Viersen und das Viersener Kanalhaus, Viersen 2001
  • Weber, Claus: Kanalbatuen zur Verbindung von Rhein und Nordsee. Projekte und Resultate: Fossa Eugeniana / Nordkanal / Rhein-Maas-Kanal, in: Buschmann, Walter (Hg.): Industriekultur. Krefeld und der Niederrhein, Essen 2017, S. 313-327 

Abbildungen:

Karte

Am Stadtwald / Kaiser-Friedrich-Str.  / Nordkanalallee
41464 Neuss