Wasserwerk Weingartstraße

Geschichte

Im Jahre 1880 beauftragte die Stadt Neuss den Bochumer Ingenieur Heinrich Scheven mit Bau und Betrieb eines Wasserwerks und zugehörigen Leitungsnetzes für die Neusser Innenstadt. Bis dahin waren Bevölkerung und Unternehmen auf öffentliche und eigene Brunnen angewiesen. Ein solcher Pumpbrunnen aus dem frühen 19. Jahrhundert steht heute vor dem Kanalwärterhaus an der Kölner Straße. Vor allem die Nachbarschaft von Brunnen und Sickergruben für Abwässer – auch eine Kanalisation existierte nicht – führte immer wieder zur Verunreinigung des Trinkwassers und zur Ausbreitung von Epidemien.

Das bereits 1874 in Bochum von Heinrich Scheven (1833-1896) gegründete Unternehmen siedelte später nach Düsseldorf über. Es plante und baute neben zentralen Wasserversorgungen auch Kanalisationen, Beleuchtungsanlagen sowie Kur- und Badeanstalten in ganz Deutschland; allein bis 1900 entstanden so etwa 70 Wasserwerke. Nachfolgende Geschäftsführer waren der Sohn Friedrich Scheven (1865–1934) und Karlheinrich Tegge (1904–1983). Nach einer Insolvenz als Heinrich Scheven Anlagen- und Leitungsbau GmbH 1982 neu begründet, war die Firma bis 2017 Tochter der Bilfinger & Berger AG. Über den Finanzinvestor Dubag Group wurde das Unternehmen mit rund 200 Beschäftigten 2020 Teil der Mannheimer Baufirmengruppe Diringer & Scheidel. Seit 1990 ist Erkrath der Unternehmenssitz.

In den Jahren 1880-1881 errichtete Scheven in der Weingartstraße (damals: Weingartshecke) südlich der Altstadt und des Nordkanals, im späteren Dreikönigenviertel, ein Wasserwerk mit Pumpenhaus, Maschinen- und Kesselhaus sowie Remise und Werkmeisterhaus. Der nicht weit entfernte ehemalige Windmühlenturm der Stadtbefestigung wurde zum Wasserturm ausgebaut, zu dem das Wasser aus der Weingartstraße gepumpt wurde.

Wasserwerk Weingartstraße, Luftbild 1964, Quelle: Stadtarchiv Neuss / Neuss historisch

Schon 1883 gab Scheven seine Konzession zurück, und die Stadt übernahm selbst den Betrieb. Später wurde die dampfbetriebenen Pumpen durch solche mit Elektromotor ersetzt. Eine Pumpe aus der Weingartstraße von 1949 steht heute vor dem Wasserwerk Broichhof.

Das Wachstum der Stadt erforderte schon vor dem Ersten Weltkrieg den Bau eines zweiten Wasserwerks im Stadtwald am Broichhof; ein drittes entstand 1954 im Rheinbogen bei Uedesheim. Schließlich sicherte sich die Stadt Trinkwasserlieferungen aus dem benachbarten Braunkohlenabbau, die über das Übergabewerk Wahlscheid eingespeist werden. 

Nachdem ein benachbarter Galvanikbetrieb das Brunnenwasser in der Weingartstraße durch Schwermetalle verunreinigt hatte, kam es ab 1979 zu einem Betriebsstopp, der 1985 in die vollständige Stilllegung mündete. Ein Abriss der Bauten wurde jedoch ausgeschlossen; die Bauten wurden als charakteristische Industriebauten der Gründerzeit und als stadtbildprägend unter Denkmalschutz gestellt.

Ne18-2 Pumpenhalle im Wasserwerk Weingartstraße, 1985, Quelle: Stadtarchiv Neuss / Neuss historisch

Im Jahre 1987 übernahm der Neusser Bauverein das knapp 4400 qm große Gelände; für die Umnutzung und weitere Bebauung hatte das Architekturbüro Grosser ein Konzept vorgelegt. Nach Plänen des Neusser Architekturbüros Rudolf Küppers wurden in der ehemaligen Pumpenhalle sechs Maisonettwohnungen eingebaut, in die Remise drei Atelierwohnungen. Das Werkmeisterhaus wurde um weitere Wohnungen ergänzt. 1988-1991 wurden schließlich nach Plänen von Hubertus Grosser 21 Neubauwohnungen auf dem Gelände ergänzt.

Die öffentlich geförderte Umnutzung erzielte große Aufmerksamkeit in der Fachwelt und wurde als vorbildlich ausgezeichnet.   

Pumpenhalle Weingartstraße nach Umbau in Wohnungen, Foto: Helmut Friedrichs, 2021

Beschreibung

Kern des Wasserwerks bildete die Pumpenhalle, ein Backsteinrohbau mit in sieben Joche unterteilter Längsseite; jedes Joch besitzt abgestufte Gewände und ein hohes, rundbogig geschlossenes Fenster. Zwei der mittleren Achsen sind durch einen flachen Giebel zusammengefasst Die Giebelwände sind in drei Abschnitte unterteilt; ein schlichter Fries folgt der geringen Neigung des flachen, weit überstehenden Satteldachs.

Im Pumpenhaus waren die Dampfkessel und die mit den Dampfmaschinen gekoppelten Pumpen untergebracht. Schrittweise Erweiterungen waren vorgeplant. Um 1910 wurde die erste elektrische Pumpe aufgestellt. Nach dem Ende des Dampfbetriebs, vermutlich zwischen den Weltkriegen, konnte der neben dem Pumpenhaus stehende Schornstein abgebrochen werden.

Die Brunnen befanden sich teilweise auf dem Schulgelände auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Wasser floss in einem Brunnenkeller zusammen, der seitlich unter dem Hof neben dem Pumpenhaus angelegt war.      

Die gleiche äußere Gestaltung wie das Pumpenhaus weist auch das Werkmeisterhaus auf, das jedoch nur 3×3 Joche misst. Auch die Remise passt sich diesem Schema unter.

Umnutzung
Für den Einbau der Maisonettwohnungen in die Pumpenhalle wurde ein zusätzliches Geschoss angelegt, das die Fenster unterteilt. Die Erschließung erfolgt über einen neu angelegten Lichthof in der Mitte des Gebäudes. 

Internet

Literatur und Quellen

  • Huck, Jürgen; Carprasse, Axel; Stadtwerke Neuss (hg.): Wasser für Neuss von der Römerzeit bis zur Gegenwart / 100 Jahre Wasserversorgung in Neuss, Neuss 1982
  • Festschrift 100 Jahre Neusser Bauverein, Neuss 1991
  • Stadt Neuss, Abteilung Denkmalschutz, Eintragungstext Weingartstraße 60 vom 14. 4. 1988; Listen-Nr. 1/574

Karte

Weingartstraße 60
41464 Neuss