Innerstädtische Bahnanlagen (Hauptbahnhof, Unterführungen, Bahnpost, Eilgutabfertigung)

Geschichte

Der erste Neusser Bahnhof wurde 1853 an der West-Ost-Strecke Aachen-Düsseldorf nördlich der Altstadt angelegt. Für die Süd-Nord-Verbindung Köln-Krefeld entstand ein Haltepunkt in unmittelbarer Nähe. Beide Strecken wurden von unterschiedlichen privaten Bahngesellschaften errichtet. 1868 begann man mit dem Bau der Eisenbahn-Rheinbrücke bei Hamm südlich von Düsseldorf; dafür wurde von Neuss aus eine Verbindung quer durch die „Neusser Wiesen“, das spätere Hafengebiet, aufgeschüttet. 

Nördlich des Bahnhofs entwickelte sich, gefördert durch den Bahnbau, in der Furth („Nordstadt“), in Verlängerung der Krefelder Straße, ab etwa 1870 ein neues Industriegebiet. 1874/75 wurde zwischen den beiden noch ebenerdig Gleistrassen von der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft ein neuer Hauptbahnhof in Insellage errichtet. Auf der Nord- bzw. Landseite verlaufen die Gleise der Rheinischen Eisenbahngesellschaft, auf der Süd- bzw. Stadtseite der Bergisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft. 

Hauptbahnhof Neuss. Empfangsgebäude (links im Bild) vor Hochlegung der Gleise. Quelle: Stadtarchiv Neuss

Der Bahnhof aus rotem Sandstein im Stil der französischen Renaissance (Architekt: Johannes Richter) war von der Further Straße her erschlossen, wo sich das Empfangsgebäude mit einem zweigeschossigen Hauptflügel befand. Nach Osten schloss sich ein eingeschossiger Teil an, dessen Abschluss ein heute allein erhaltenes Dienstgebäude bildete. Auf der Eingangsseite zeigte der Bahnhof einen dreigeschossigen, übergiebelten Mittelrisaliten mit zweigeschossigen Fortsetzungen. Freistehende, eingeschossige Gebäude für Bahnpost und Gepäckversand flankierten bis zur Hochlegung der Trassen den Vorplatz nach Süden. 

Hauptbahnhof Neuss. Inselbahnhof mit Platzgestaltung vor dem Empfangsgebäude und den die Zufahrtsstraße begleitenden Dämmen. Quelle: Hist. Ansichtskarte, Stadtarchiv Neuss

Seit etwa 1890, nachdem die Eisenbahn in staatlicher Hand vereinigt war, drängten Rat und Bürger auf eine Modernisierung der Bahnanlagen durch Hochlegung der Gleise, weil es zwischen Innen- und Nordstadt zu immer längeren Verkehrsunterbrechungen an den Schrankenanlagen kam. Eine solche Neuordnung  der Bahnanlagen wurde zur gleichen Zeit vor allem aus Gründen zunehmenden Verkehrs und damit verbundener gegenseitiger Behinderungen insbesondere in Großstädten wie Hannover, Düsseldorf und Köln mit Nachdruck betrieben.

Im eher bescheidenen Neuss zogen sich Umbau und Erneuerung der Bahnanlagen jedoch bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg hin. Im Zusammenhang damit musste auch der Güterbahnhof von südlich nach nördlich des Hauptbahnhofs verlegt werden. Andere Maßnahmen, etwa die Verlegung der Überbrückung des Erftkanals für die Verbindung zur Hammer Brücke nach Düsseldorf, eine der Voraussetzungen für den Ausbau des Handelshafens, konnten dagegen eher zügig durchgeführt werden. Sie ermöglichte der Stadt die Entwicklung des Bahnhofsviertels um die neue Marienkirche. 

Die eigentliche Hochlegung der Bahnanlagen erfolgte dagegen erst in den Jahren 1908 bis 1910. Rings um das Bahnhofsgebäude wurden die beiden Gleisstränge neu geordnet und in Dammlage verlegt. Am Beginn der Further Straße entstand eine Unterführung, zwischen deren  Brückenzüge der Zugang zum Bahnhof eingefügt wurde. Die Schauseiten der Widerlager wurden insbesondere an der Innenstadtseite architektonisch gestaltet. 

Bahnpost und Frachtabteilung mussten den Dammbauten weichen und wurden beiderseits der weiter östlich gelegenen Salzstraße verlegt, die ebenfalls mit Brücken unter den Bahndämmen hindurchgeführt wurde. Durch massive innere Umbauten, im Äußeren sichtbar durch verlängerte Obergeschossfenster, wurde das bestehende Bahnhofsgebäude an das neue Bahnsteigniveau angepasst. Der Vorplatz wurde durch Werkstein-Flankenmauern mit begrünten Schrägen sowie einer flachen Bogenbrücke an der Further Straße gerahmt. 

Ein vor dem Ersten Weltkrieg geplanter repräsentativer Neubau des Hauptbahnhofs auf der Stadtseite unweit der Marienkirche wurde wegen des Ersten Weltkrieges nicht mehr ausgeführt, so dass das alte Bahnhofsgebäude bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg in Gebrauch blieb. Gegen den Bahnhofsneubau wehrten sich auch die Geschäftsleute der Krefelder Straße, die ein Abwandern der Kundschaft fürchteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof mit einer schlichten Empfangshalle auf Straßenniveau versehen; der Zugang an der Stadtseite wird bis heute durch eine Tunnelöffnung gebildet.

Mit Ausnahme des Empfangsgebäudes haben sich also wesentliche Elemente des Bahnhofskomplexes in mehrfach umgebauter und erweiterter Form bis heute erhalten: Die Unterführungen an Further und Salzstraße, der gestaltete Vorplatz an der Further Straße mit seinen Flankenmauern, der Tunneleingang an der Stadtseite, der eingeschossige östliche Anbau des Hauptgebäudes sowie dort anschließend beiderseits der Salzstraße das Bahnpost- und Eilgutgebäude, letzteres mit rückwärtigem Bahnanschluss. Die Unterführung an der Further Straße sowie die Brücke über den Bahnhofsvorplatz mit den zugehörigen Widerlagern und Futtermauern sind in die Neusser Denkmalliste eingetragen.

Beschreibung

Die Further Straße wird von vier Brückenzügen überspannt. Alle Brückenzüge sind zusammengesetzt aus Zweigelenk-Bogenbalken mit aufgeständerter Fahrbahn. Gegenüber den früher verwendeten Fachwerkträgern mit gebogenem Untergurt ermöglichten die Bogenträger eine geringeren Scheitelstärke und somit eine größere Durchfahrtshöhe. Außerdem sind Materialaufwand und damit das Gewicht insgesamt geringer.   

Die Bogenbalken ruhen an beiden Seiten auf Widerlagern mit Gelenken. Die Widerlager sind Teil der Stützmauern, die die Bahndämme gegen die Durchfahrt abgrenzen. Die Wandzone des Durchgangs ist durch Sockelstreifen und Abschlussgesims aus dunkler Basaltlava begrenzt. Dazwischen befindet sich an den Längsseiten gelbes Sandsteinmauerwerk. An den Stirnseiten des Durchgangs geht dieses in drei Schichten in ein polsterartig untergliedertes, rotes Sandsteinquaderwerks über, das die Basis bildet für vorgelagerte, stelenartige Pfeiler aus Sandstein, die am oberen Ende, auf Höhe der Gleise,  durch ein Konsolgesims abgeschlossen werden.

Über die Zufahrt zum Inselbahnhof verbindet eine nur für das Bahnpersonal zugängliche massive, vermutlich aus Beton bestehende segmentförmige Bogenbrücke die nördlichen und südlichen Brückenzüge. Sie ist mit gelbem Sandstein in Zyklopenverbund verkleidet, der nahtlos in die Stützwände der Bahndämme übergeht, die bogenförmig zu den Widerlagern der Brücken überleiten. Die zur Mitte leicht ansteigende Brücke besitzt schmiedeeiserne Geländer, die ebenfalls in die Begrenzung der Gleistrassen übergehen. 

Die Bogenbrücke bildet optisch ein Portal zum Vorplatz des Hauptbahnhofs. Von Ferne erinnert diese Anlage an die ersten Bahnhöfe, die noch einen abgetrennten Vorhof besaßen.

In der Nähe des Empfangsgebäudes gehen die bis dahin in halber Höhe von Böschungen abgelösten Seitenwände in gelbe Backsteinwände mit Rotsandsteindetails über, die zurückweichen und bis zur vollen Höhe der Bahndämme aufsteigen. Der von Theodor-Heuss-Platz zum Empfangsgebäude führende Personentunnel ist mit seinem Mundloch in ähnlicher Weise gestaltet. Der Tunnelzugang wird flankiert von schlichten Rotsandsteinpilastern mit Aufsätzen. 

Bedingt durch den Platzbedarf der Bahndämme mussten einige Einrichtungen des Bahnhofs auf die östliche Seite verlegt werden. Für sie wurde ebenfalls unter den Gleissträngen, allerdings in engerer Form, die Salzstraße hindurchgeführt. Die südliche Unterführung besteht hier aus horizontalen stählernen Balkenlagen mit ausbetonierten Zwischenräumen. Bossierte Sandsteinquader verblenden die Widerlager und Stirnseiten. Die nördliche Brücke ist eine stichbogenförmig in Backstein gemauerte Bogenbrücke. Ihre Ansichtsseiten sind mit gelbem Sandstein verkleidet, der auch als Brüstung über der Durchfahrt durchläuft. Dekorative Durchbrüche und ein barockisierendes Mittelmotiv bilden hier den Abschluss.

In dem Freiraum zwischen den beiden Gleissträngen liegt hier die Bahnpost unmittelbar westlich der Salzstraße. Auf der anderen Seite entstand an einem geräumigen Vorplatz die Eilgutabfertigung, hinter der die Bahnsteige für die Post- und Eilgut-Verladung lagen. Beide Gebäude sind im Sinne eines malerischen Späthistorismus asymmetrisch gestaltet und zeigen Fassaden mit Backsteingliederungen, glatten Putzflächen und Jugendstilelementen wie geschmiedete Fenstergitter.

Eine massive, weitgehend verputzte Bogenbrücke verbindet westlich der Bahnpost nochmals die beiden Gleisstränge bzw. Bahnsteige   

Trotz kriegsbedingt fehlendem historischen Mittelpunkt, dem Empfangsgebäude von 1876, spiegeln die erhaltenen, bis 1911 rund um den Neusser Hauptbahnhof angelegten Unterführungen, Brücken und Nebengebäude die komplexe historische Entwicklung des Eisenbahnknotens und seiner stadträumlichen Einbettung wider. Ein Dreivierteljahrhundert nach ihrer Einführung spielt auch in Neuss die Eisenbahn für Personen- und Güterverkehr durch das Städtewachstum und die Industrialisierung eine wichtige Rolle. Auch hier zeigt sich die Notwendigkeit einer durchgreifenden Modernisierung durch den Umbau der Gleistrassen und Bauten. In gleicher Weise wie in den Metropolen der Zeit erfolgt sie durch Hochlage in Verbindung mit modernen Brückenkonstruktionen. Dabei repräsentieren die innerhalb weniger Jahre in Neuss entstandenen Unterführungen ganz unterschiedliche Konstruktionen und Gestaltungen    

Internet

de.wikipedia.org: Neuss Hauptbahnhof

Literatur & Quellen

  • Ludewig, Thomas: Mit Volldampf in die neue Zeit : 150-jähriges Neusser Eisenbahnjubiläum; [Ausstellung vom 11. September bis 26. Oktober 2003] / Clemens-Sels-Museum. [Hrsg. von Christiane Zangs im Auftr. der Stadt Neuss. Texte: Thomas Ludewig …]
  • Wild, Moritz: Der Baumeister Johannes Richter und die neugotische Pfarrkirche St. Nikolaus in Bonn-Kessenich. In: Denkmalpflege im Rheinland, Jg. 30, 2013, H. 3, S. 116–125 (hier: S. 118)
  • Schnitzler, Peter Dieter (hg.) Die Furth. Wege durch die Nordstadt. Nüß henger de Bahn II. Neuss 2016, S. 282/283

Karte

Further Straße / Salzstraße
41460 Neuss